Offener Brief führender Wissenschaftsbibliotheken Deutschlands gegen die gemeinsame Stellungnahme des Boersenvereins mit dem Deutschen Bibliotheksverband dbv

In einem offenen Brief haben die Direktoren der Bayerischen Staatsbibliothek München, der Universitätsbibliothek Frankfurt a.M. , der Deutschen Zentralbibliothek der Medizin, Köln, der Staats-und Universitätsbibliothek Göttingen, der Universitäts-und Landesbibliothek Halle sowie der Technischen Informationsbibliothek Hannover sich energisch gegen die gemeinsame Stellungnahme des Börsenvereins als Vertretung der großen kommerziellen STM-Verlage und des dbv (Deutscher Bibliotheksverband) gewandt.

Diese bv-dbv-Stellungnahme würde, wenn von der Politik realisiert, den Interessen von Wissenschaft, Forschung und ihren Dienstleistern großen Schaden zufügen. Fundamentale Interessen der wissenschaftlichen Bibliotheken und ihrer Nutzer würden durch sie geopfert. Bibliotheken sollten sich ausschließlich an den Interessen von Lehre und Forschung, von Wissenschaft und Bildung ausrichten. Aussserdem würde die Realisierung der Vereinbarung für die Länder erhebliche Mehrkosten bedeuten, ohne mehr Leistung für Bildung und Wissenschaft zu erbringen.

Sie halten einen Austritt aus dem dbv für möglich. [zur Quelle]

In der dbv-bv-Stellungnahme werden wesentliche Bastionen der Unabhängigkeit der Hochschulen tangiert: es sollen DRM Digital Rights Management, also elektronische Lesebeschränkungen erzwungen werden, Statistische Erfassungen der Leserzahl müssten an die kommerziellen Verlage gemeldet werden, Zugang zu den Quellen wäre nur noch in Leseräumen der Bibliothek möglich, interne Sammlungen von Dokumenten zur Nutzung in einem Kurs, und ihre Aufbewahrung durch den Dozenten bis zum Kurs im kommenden Semester wären nicht mehr erlaubt, und die Kosten für im Leihverkehr (bisher subito) müssten unabhängig von der Quelle, ob kommerziell oder nicht, einheitlich im Einvernehmen mit den Verlagen bepreist werden,- das könnte auf das zehnfache der jetzigen Gebühren hinauslaufen. Im Ganzen, so sinnvoll einige Vereinbarungen für öffentliche Bibliotheken sein mögen, sind sie aus meiner Sicht für die wissenschaftlichen Hochschulbibliotheken als Dienstleister für Wissenschaft und akademische Lehre eine Katastrophe und behindern diese massiv: denn das übliche wissenschaftliche Arbeiten beinhaltet das kursive Sichten einer großen Zahl von Dokumenten, wodurch erst die relevanten herausgefiltert werden. Diese Art des Arbeitens würde aus Kostengründen unmöglich; das Anlegen und Bereithalten digitaler Quellen für Vorlesungen und Veranstaltungen, ihre lokale Anpassung und Aufbewahrung zum nächsten Kurs, wobei der Hörerkreis jeweils beschränkt und definiert, also nicht öffentlich ist, würde unmöglich.

Entsprechend deutlich ist auch die Pressemitteilung des Aktionsbündnis Urheberrecht für Bildung und Wissenschaft, deren Göttinger Erklärung die großen Wissenschaftsorganisationen Deutschlands, 325 Fachgesellschaften, Universitäten, Verbände etc. sowie bereits 5.287 Persönlichkeiten aus Bildung und Wissenschaft unterschrieben haben.
Interessant ist hierzu die ausführliche Erläuterung von Frau Dr. G.Beger, Direktorin der Staats-und Universitätsbibliothek Hamburg, mit den wesentlichen Argumenten, dass ohne diese Vereinbarung als eine Art Leitfaden für die Politik der Gesetzgeber noch stärkere Einschränkungen der Wissenschaft und Bildung erlassen würde, um den kommerziellen Status der großen internationalen STM-Verlage zu sichern,– und dass der einzige Ausweg die Beförderung von Open Access ist, weil dieses nur einer einfachen Willenserklärung des Autors/der Autorin bedürfe.
[Zur Quelle:
Historie; Vor- und Nachteile
, G. Beger zur gemeinsamen Stellungnahme von dbv und Börsenverein zu §52b und §53a.; 13.2.2007

Weitere Beiträge hierzu:

Das neue Papier von DBV und Börsenverein zu Korb 2

Eric Steinhauer; in: Grundriss eines Bibliotheksrechts; Blog; 8.2.2007
[Zitat: Die Abkehr von der an Verwertungsgesellschaften abzuführenden Vergütung zu einer Lizenzierung durch den Verlag bei onine-Publikationen ist systemwidrig. Bibliotheken werden hier zu Lizenzagenturen von Verlagen. Die Verlage könnten die Lizenzierung ebenso gut über ihre Webseiten abwickeln. Offenbar sollen die Bibliotheken die nichtkommerzielle Nutzung garantieren, während die kommerzielle Nutzung von den Verlagen allein vermarktet wird. Die genannten Regelungen sollen sich nur auf solche Online-Angebote beziehen, die ausschließlich oder parallel zu einer gedruckten Fassung erscheinen. Retrospektive Digitalisate sind davon ausgenommen. ]


Bibliotheken und Verlage legen Streit bei
; Börsenblatt 19.3.2007
(ohne Autorenangabe; Pressemitteilung).
[Kommentar durch Eberhard R. Hilf: Dieser irreführende Text verdient doch eine Richtigstellung:
Erstens handelt es sich nicht um einen Streit, sondern um eine Antwort auf die Frage, wie die kommerziellen Verlage im digitalen Zeitalter eine optimale Literaturversorgung sicherstellen wollen,- die Voraussetzung für effiziente Forschung und Entwicklung. Die sinnvolle Antwort,
alle neuen wissenschaftlichen Publikationen werden in einer Kopie online open access gelegt,
und können so maximal, zeitlich unmittelbar zur weiteren Forschung beitragen steht allerdings aus. Für add-on Dienste wie intelligentes printing on demand, Auffinden relevanter Dokumente pp. gäbe es dabei ein weites Feld, um mit sinnvollen Geschäftsmodellen leistungsfähige professionelle Dienste im Wettbewerb anzubieten; Es handelt sich also nicht um einen Streit, sondern um eine Vereinbarung zwischen dem Börsenverein und dem dbv, wie sie auf die klaren Anforderungen reagieren wollen.
Zweitens ist der Partner nicht ‘die Bibliotheken’ sondern es sind Vorschläge an den Gesetzgeber durch den BV und den dbv als Verein, die die einzelnen Bibliotheken nicht binden. Wissenschaftler und die Vertretungen der Wissenschaft waren nicht einbezogen, insofern kann man auch nicht erwarten, dass die Anforderungen der Wissenschaft hier einbezogen wurden.
Entsprechend kurzlebig werden diese Vorschläge sein, sollten sie realisiert werden.
1.Zitat: G. Honnefelder, Vorsteher BV: Wenn wir Bildung und Wissenschaft auf hohem Niveau wollen, muss das Urheberrecht Anreize für marktwirtschaftliche Lösungen mit Garantien für umfassende Versorgungsangebote der Bibliotheken verbinden.
Was die Wissenschaft aber für ihre Arbeit fordern muss, ist: digitalen Zugang zu allen wissenschaftlichen Dokumenten, anstelle der in der Vereinbarung vorgesehenen analogen Krücken; marktwirtschaftliche, gemeint sollte ja wohl sein: bezahlbare d.h. wettbewerbliche professionelle Dienste, die im OA-Raum aller Dokumente arbeiten, die fehlen aber, und davon ist in dieser Vereinbarung keine Rede, sondern sie fokussiert auf die Einnahmensicherung überkommener papier-orientierter Dienste. Daher: keine zukunftsfähige Lösung.
2. Zitat: C. Lux, Vorsitzende dbv: ..Bibliothekare und Verleger stellen sich mit diesem Papier gemeinsam ihrer Verantwortung für eine moderne, an den Interessen der Nutzer ausgerichtete Informationsversorgung; Wer die Nutzer nicht nach ihren Interessen befragt und sie in die Verhandlungen mit einbezieht, sondern nur mit der Vertretung der kommerziellen Verlage redet, muss sich nicht wundern, wenn die Wortwahl ‘modern, an den
Interessen der Nutzer ausgerichtet’ sich am Vergleich des Vorgeschlagenen mit den Anforderungen aus der Wissenschaft messen lassen muss.
Eine große Chance wurde vertan: die richtige zukunftssichere Reihenfolge wäre gewesen:
dbv mit dem Anspruch der Vertretung der Informationsdienstleister an den wissenschaftlichen Hochschulen befragt die Wissenschaftsorganisationen, Fachgesellschaften, Wissenschaftsvertretungen, wie sie z.B. im Urheberrechtsbündnis bzw. der Allianz der Wissenschaftsorganisationen zusammengeschlossen sind, nach den Anforderungen an ein langfristig zukunftssicheres Profil von notwendigen Diensten im digitalen Zeitalter, und verhandelt dann mit einer wettbewerblichen Mehrzahl von möglichen kommerziellen Anbietern.

Aus der INETBIB-Diskussion:
Stellungnahme der DBV-Verhandlungsgruppe zu den Reaktionen auf die
gemeinsame Stellungnahme von Börsenverein und DBV
(9.3.2007)

Offener Brief der BSB München, der UB Frankfurt, der ZBMed Köln, der NSUB Göttingen, der ULB Halle sowie der TIB Hannover an die Vorsitzende des DBV, Frau Dr. Lux
[Zitat daraus: Die aus unserer Sicht einzig richtige Haltung wäre gewesen, den am Gesetzgebungsverfahren Beteiligten unmissverständlich deutlich zu machen, dass wir die vorgesehene Gesetzesnovellierung für falsch, einseitig und wissenschaftsfeindlich halten. Diese Möglichkeit hat der dbv verspielt und nach unserer Auffassung dadurch einer nicht geringen Zahl seiner Mitglieder erheblichen Schaden zugefügt,..